Eröffnungsrede: "Kunst im Kabinett"

1. März 2019

Eröffnungsrede:

Eröffnungsrede von Hartmut Miethe zur Ausstellung "Little Big People" (22. Februar - 7. April 2019 in Grünberg).

"Kunst im Kabinett" präsentiert Ihnen, werte Gäste, den Maler und Bildhauer Jan Maria Dondeyne mit seiner Ausstellung "Little big people". Es entfaltet sich auf kleinem Raum ein überraschend umfassender Einblick in das gegenwärtige Schaffen des Künstlers, der sich schwerpunktmäßig als Maler vorstellt, aber, wie wir sehen können, als Holzbildhauer nicht weniger Aufmerksamkeit verdient. Das Zusammenspiel beider Kunstgattungen verleiht dem Raum eine ganz besondere Leichtigkeit und zugleich würdige Stille.

Ich heiße den Künstler, den ich im Sommer 2018 während einer Ausstellung in Laubach kennenlernte, zusammen mit seiner Gattin herzlich willkommen. Beide haben die Präsentation der Werke realisiert. Danke!



Die Bescheidenheit des Ausstellungsraumes erfordert Präzision in der Konzeption und in der Auswahl der Arbeiten. Eine Herausforderung, die angenommen und glänzend gemeistert wurde. Hier gibt es keinen Platz zu verschenken! Wenn wir auf die Skulpturen blicken, ist sogar zusätzlicher Raum durch das Arrangement gewonnen worden. Die eng aneinander stehenden Figuren sind uns Besuchern gleich, sie drängen sich, ohne ihre Individualität zu verlieren. Diese Komposition lenkt den Blick sofort auf die unterschiedliche Ausstrahlung der Hölzer: die helle Vornehmheit der Birke im Kontrast zu der langsam gewachsenen Olive oder dem tiefen Farbton der Pflaume. Wir blicken auf eine Farbpalette unterschiedlichster Hölzer.

Wie zwei Wächter, die größeren Arbeiten an der Stirnseite des Raumes, erhaben und zur Stille einladend. Diese Arbeiten bieten dem Betrachter einen Brückenschlag zur Theo-Koch-Ausstellung. Finden wir nicht in den Masken und Ritualgewändern der Indianer etwas Verwandtes in der Erhabenheit und Ausdruckskraft wieder?

Jede Figur trägt einen Titel und damit hat der Künstler das an seine Arbeit herangetragen, was ihn im Verlauf des Entstehungsprozesses bewegt und beschäftigt hat. Ein Beispiel ist die "First Lady", eine Frau, die trotz der Unberechenbarkeit ihres Gatten Haltung bewahrt.



Aber vielleicht spüren Sie in der Wahrnehmung der Figurengruppe auch, dass dieses vertraute, enge Gedränge sich in den Bildern nicht wiederholt, obwohl diese durchaus mitten in die moderne geschäftige Alltagswelt hinein führen. Wem sind nicht schon mal bei einem Einkaufsbummel auf dem Gießener Seltersweg oder in der Wetzlarer Innenstadt die Luft und die Lust ausgegangen? Was und wen nimmt man im Gedränge noch wahr? Wem gilt unser Gruß? Einem vermutet wahrgenommenen Bekannten? Mitten in diesem Gewusel entsteht Fremdheit und Einsamkeit, Namenlosigkeit und Austauschbarkeit. Hauptsache der Prozess an sich geht weiter. Hier finden wir ein zentrales Thema dieser Ausstellung. Der kleine, große Mensch hat es nicht leicht, seinen Weg in der Massengesellschaft zu finden, vor der der spanische Philosoph Ortega y Gasset warnte. Die Masse wird den einzelnen vor sich selbst fremd machen.

Jeder aber sehnt sich nach seiner ganz persönlichen Individualität. Und dann rennen sie alle als Gelbwesten durch die Innenstädte. Schon kurios! Mann soll sich vom Mitmenschen kein Bild machen, fordert der Schriftsteller Max Frisch. Das nimmt dem Mitmenschen die Luft zur Entfaltung. Jan Dondeyne malt keine Bilder von Menschen sondern stellt Bewegungsabläufe des Lebens dar. Was ist Miteinander und Begegnung in einer sich rasant seit der Neuzeit verdichtenden Welt?


Nun zur Kunst des Künstlers:

Die Leinwand ist für den Maler auch Kinoleinwand. Aus einem großen Bilderfundus greift er sich Bilder und Motive heraus und montiert sie zu Kollagen, die das Leben der Begegnung und Nichtbegegnung erzählen. Es gibt unverkennbar Hauptdarsteller, die den Kern des Geschehens ausmachen, dann Nebendarsteller, die Bewegung in die Szene bringen und Komparsen, die etwas auffüllen, ohne das eigentliche Thema zu beeinflussen.



Buchstabieren wir es einmal durch am Bild "Zum Gotteshaus", welches unser Plakat gestaltet, durch. Real ist die Detaildarstellung des Kirchengebäudes, das es wirklich gibt. Die zwei Hauptdarsteller gehen auf das Gebäude zu, sie haben ein Anliegen, sie wollen da hin. Gekreuzt wird ihr Weg von einem Nebendarsteller, der nicht hin und weg will, sondern an der Kirche vorbei. Er ist aber wichtig, weil er dem Bild Spannung verleiht und die Bewegung der Hauptdarsteller auf die Kirche zu seltsamerweise unterstreicht.

Mit einer eher am Betrachten eines Filmes geschulten Sehweise, kommen wir mit der Entschlüselung der Bilder voran. Weiterhin können Sie bemerken, dass bestimmte Figuren in unterschiedlichen Bildern zum Einsatz gekommen sind, wie z.B. jene Frau mit der schwarzen Tasche unter dem Arm. Wir können ihr folgen wie einer Schauspielerin, weil wir sie vielleicht mögen und uns freuen, sie in verschiedenen Filmen wieder zu entdecken. Oder ebenso jenes Paar, ein junges Mädchen, vielleicht noch Kind, mit dem Vater Hand in Hand, was sich bei uns fast kein Vater mehr traut.

Und da ist noch der Mann mit dem angewinkelten Bein, er macht ein wenig Tempo. Nichts ist dem Zufall überlassen. Der Künstler arbeitet wie ein Komponist, ein Regisseur. Der Vorgang beginnt im Kopf und realisiert sich dort als Gesamtbild, ehe es wie ein Kopfbild auf die Leinwand kommt. Fertig ist das Bild, Zitat, "wenn das Bild dem Maler die Absolution erteilt hat". Die leicht aufgetragenen Acrylfarben verleihen den Leinwänden Leichtigkeit und stille Wärme und das lässt uns das durchaus schwere Thema ruhiger aufnehmen.



Wie ist das mit dem Miteinander der Menschen? Wie treten sie miteinander in Beziehung? Wollen sie dies denn noch? Hat man es ihnen abgewöhnt durch die Magie der digitalen Mitteilungsmöglichkeiten?

Meine Jahrzehnte lange Erfahrung im Bahnreisen bestätigt mir: es hat sich viel verändert im Miteinander. Immer mehr Menschen bringen ihren mitreisenden Gesprächspartnerin schon mit in den Zug, ihr Handy, und suchen so keine Gespräche mehr mit jenen, die ihnen gegenüber sitzen. Wozu auch?

Ich selbst entdecke in den Bildern von Jan Maria Dondeyne große Räume zwischen den Menschen, die Stille und Namenslosigkeit hervorrufen. Die Szenen wirken stellenweise wie, eingefroren, obwohl ja Miteinander, Gefühle und Begegnung eingefangen sind.
Mir persönlich tun die Bilder jedoch auch gut. Ich habe viel mit Menschen zu tun, erlebe sie in ihrer Vielfältigkeit, Zerrissenheit, Kreativität, Einsamkeit und Lebensfreude. Gerade deshalb laden mich die Arbeiten zum Innehalten ein, zum Verweilen, Atmen und Strukturieren. Zuweilen erfrischt ja Beziehungslosigkeit. Aber wenn diese in kollektive Sprachlosigkeit umkippt, wird es für das Miteinander der Völker zur Belastungsprobe.

Deshalb hat die Ausstellung neben einer privaten zugleich eine politische Dimension.

Danke an den Künstler, seine Gattin, an das Museumsteam, die Stadt Grünberg, und den Freundeskreus für die Realisierung dieser Ausstellung.



— Hartmut Miethe für den 22. Februar 2019

Es gilt das gesprochene Wort.